Huang-Po

Zitate von Huang-Po (18)

Huang-Po

 Huang-Po – Kurze Biografie

* circa 770 im Bezirk Kao in China – † circa 850 am Berg Huang-Po in China

Die Lehren des Huang-Po, alias Hsi-yün, Meister T’uan-chi, Obaku Kiun, der fast sein gesamtes Leben in einem Kloster auf dem Berg Huang-Po verbrachte, wurden in der Tradition des Ch’an Buddhismus, japanisch Zen, von seinen Schülern aufgezeichnet.

Daraus entwickelte sich später die Schule Lin-chi, japanisch Rinzai, des Zen-Buddhismus. Zen ist ein Zweig des Mahayana-Buddhismus, der besonders in China und im nördlichen Ostasien verbreitet ist.

John Blofeld, der die Texte des Huang-Po ins Deutsche übertragen hat, bringt die Essenz des Zen mit wenigen Worten auf den Punkt:
«Demnach ist es das einzige Ziel des wahren Zen-Schülers, daß er sein Bewußtsein schult, alle Denkvorgänge, die auf dem unvermeidlichen Dualismus des „gewöhnlichen“ Lebens beruhen, zu überschreiten, damit ihre Stelle jenes intuitive Wissen einnehmen kann, das dem Menschen zum ersten Mal offenbart, was er in Wirklichkeit ist. Wenn alles Eins ist, dann ist auch die Erkenntnis des wahren Selbst-Wesens eines Geschöpfes – seines ursprünglichen Selbst – zugleich die Erkenntnis des All-Wesens, des Wesens eines jeden Dinges im Weltall. Wer diese überwältigenden Erfahrungen erlangt hat, sei er Christ, Buddhist oder Anhänger einer anderen Glaubensrichtung, macht immer die gleiche Aussage: daß es unmöglich ist, dies in Worten auszudrücken.» Blofeld, a.a.O., S. 25 f.

In der Zen-Lehre des Huang-Po sind außerdem folgende Punkte von zentraler Bedeutung:

1. Im Chinesischen bedeutet «hsin» nicht nur «Geist», sondern auch «Herz» oder «Seele». Huang-Po verwendet «Geist» als einen behelfsmäßigen Ausdruck für eine Dimension, die nicht in Worte zu fassen ist.

2. Es gibt keine Trennung zwischen Samsara und Nirvana. Beide sind eins, sodass es weder ein «Diesseits» noch ein «Jenseits» gibt.

3. Erleuchtung kann man nicht erlangen. Sie ereignet sich blitzartig, unvermittelt und bedeutet im Wesentlichen das Gewahrwerden des In-der-Welt-Seins ohne Begriffe, Vorlieben und Abneigungen.

4. Profunde Kenntnisse der Lehren Buddhas – insbesondere die Praxis der Rechten Versenkung oder Meditation – können zwar die Rahmenbedingungen für Erleuchtung begünstigen, diese jedoch nicht bewirken.

5. Zen kann im klassischen Sinne nicht gelehrt werden, da seine Essenz nicht begrifflich vermittelbar ist.

Zen entzieht sich dem Verständnis der westlichen Logik, die im Wesentlichen auf dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten basiert. Dieses auf Aristoteles zurückgehende Prinzip besagt, dass eine Aussage entweder gilt oder nicht gilt und dass es kein Drittes gebe, lateinisch tertium non datur. Nach Aristoteles basierte die westliche Logik noch über zwei Jahrtausende auf einer Ontologie der Statik.

Erst die revolutionären Entdeckungen der Quantenphysik im 20. Jahrhundert – vor allem das Phänomen der Superposition – als Überlagerung von zwei oder mehreren Eigenzuständen eines Objekts – sowie das Prinzip der Nichtlokalität, das eine Verbindung von Objekten jenseits von Raum und Zeit postuliert – haben die Fundamente der klassischen Logik erschüttert, indem sie deutlich machten, dass Prozesse im mikrokosmischen Bereich weder an das Ursache-Wirkung-Modell noch an den Satz vom ausgeschlossenen Dritten gebunden zu sein scheinen.

Für die alten Chinesen war es dagegen nie ein Problem, dass eine bestimmte Aussage gleichzeitig sowohl gelten als auch nicht gelten kann, da sie, ähnlich wie die heutige Quantenphysik, die Perspektive des Betrachters als konstitutiv für jede Erfahrung ansahen. Auf den Punkt gebracht lautet also die philosophische Logik des chinesischen Buddhismus und Taoismus: tertium datur!

Bedingt gilt diese Aussage auch für die westlichen Dialektiker, die wie zum Beispiel Hegel, sich wesentlich auf den Bereich des Immanenten beschränkten und versuchten, das Transzendente weitgehend auf eine Ebene der metaphysischen Spekulation zu verlagern. Für die Taoisten und Buddhisten sind Immanenz und Transzendenz dagegen nicht zu trennen, und auch für Huang-Po gilt: Samsara ist Nirvana, und Nirvana ist Samsara.

Dies ist der Hauptgrund dafür, warum den meisten westlichen Menschen die Lehre des Zen auch heute noch als paradox erscheint. Eine Paradoxie liegt bereits in der Tatsache, dass Huang-Po behauptet, es gebe zwar eine Lehre des Zen, aber Zen können nicht gelehrt werden. Das Geheimnis zur Auflösung dieses vermeintlichen Widerspruchs steckt im Verständnis von Immanenz und Transzendenz, deren Einheit sich dem begrifflichen Denken verschließt. Diese könne nur intuitiv erfasst werden. Da aber jedes Wort und jeder Begriff als begrenzende Formen, lateinisch Definitionen, dualistisch seien, sei es unmöglich mittels ihrer eine nichtduale grenzenlose Einheit zum Ausdruck zu bringen. Was sich aber nicht in Worte fassen lässt, ist auch durch Worte nicht lehrbar: «Eine Übermittlung durch Worte kann nicht der Dharma sein.» Huang-Po, a.a.O., S. 62

Mit diesen Worten stellt uns Huang-Po wie alle Taoisten und Zen-Meister, die mit Worten lehren, vor ein weiteres Paradoxon. Wenn Zen nicht mit Worten vermittelt werden kann, müssten dann nicht alle Zen-Meister konsequenterweise schweigen? Huang-Po gibt uns auf diese Frage folgende Antwort:

«Das Predigen des Dharma geschieht zur gleichen Zeit mit Worten und durch Schweigen. Wenn man auch den ganzen Tag lang spricht, wird doch kein Wort gesprochen. Da dies so ist, gehört nur das Schweigen zum Wesentlichen.» Huang-Po, a.a.O., S. 132

Es kommt also nicht darauf an, ob jemand spricht oder schweigt, sondern wie, das heißt, in welchem Bewusstsein er dies tut. Ist sich der Redende bewusst, dass er mit Worten nie die ursprüngliche allgegenwärtige Einheit zum Ausdruck bringen kann, sondern bestenfalls günstige Rahmenbedingungen dafür schaffen kann, dass die Zuhörer oder Leser der Einheit von Samsara und Nirvana begegnen und auf diese Weise die gesamte Wirklichkeit wahrnehmen können als Soheit, im Sanskrit Tathagata, dann und nur dann ergibt das Sprechen Sinn. In diesem Fall wäre es ein Sprechen ohne Worte, weil Sender und Empfänger sich darüber im Klaren sind, dass die Sprache des Wesentlichen das Schweigen ist.