Henri Bergson – Kurze Biografie
* 18.10.1859 in Paris – † 10.1.1941 in Paris
Der französische Philosoph Henri Bergson erhielt 1927 den Nobelpreis für Literatur und gilt neben Nietzsche und Dilthey als der bedeutendste Vertreter der Lebensphilosophie, der zufolge die Wirklichkeit sich dem verstandesmäßigen Erkennen weitgehend entzieht.
Zu den bekanntesten von Bergson geprägten Begriffen gehört der Elan vital, eine lebendige, formbildende Schwungkraft, die nach Überzeugung des Autors als schöpferische Entwicklungstendenz in allen Lebensprozessen wirksam ist. Hier liegt die Betonung nicht auf dem Willen zur Macht, wie bei Nietzsche, sondern auf dem Willen zur Gestaltung, der schöpferischen Ausgestaltung des vom Elan vital angetriebenen Entwicklungsimpulses.
Einer der fatalsten Irrtümer der Philosophiegeschichte, so der Autor, sei die falsche Einschätzung gewesen, Raum und Zeit seien gleichrangige Anschauungsformen. Besonders hart kritisiert er Kant, der noch ein Jahrhundert zuvor mittels artistischer gedanklicher Verrenkungen versucht hatte, Raum und Zeit als apriorisch gegebene gleichrangige Werkzeuge des Denkens philosophisch zu etablieren. Kant sei auf halber Strecke stehen geblieben, als er bemerkte, dass die Formen des Verstandes außerhalb der Erfahrung keine Gültigkeit hätten.
In Wirklichkeit entziehe sich auch die Erfahrung dem Verstand, da dieser nur statische Elemente erfassen könne. Anders als der Raum sei die Zeit aber nicht homogen, sondern ein unteilbares, unumkehrbares und unwiederholbares Fließen. Was wir als Sein der Welt verstehen, sei durchgängig ein Werden, mit dem der Verstand nichts anzufangen wisse, weil er es als seine Aufgabe verstehe, lebendige Entwicklungsprozesse auf statische Elemente zu reduzieren.
Da der Verstand sich kaum dafür interessiere, die Materie zu verstehen und es ihm praktisch nur darum ginge, sie sich nutzbar zu machen, sei der Mensch weniger ein homo sapiens als ein homo faber. „Sapere“ hat im Lateinischen die Grundbedeutung schmecken oder Geschmack haben. Nur im übertragenen Sinne wird es auch für Einsicht bzw. Weisheit verwendet. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass das auf Horaz zurückgehende und von Kant zum Leitspruch der Aufklärung erhobene sapere aude! nicht nur wie üblich mit „Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen!“ übersetzt werden könnte, sondern auch mit „Wage es zu schmecken und deinen Verstand in die Wüste zu schicken“, wenn es um psychosomatische Prozesse geht!
Nachdem Bergson die Bedeutung des Verstandes als analysierendes, unentwegt zergliederndes Instrument zur Gewinnung statischer Erkenntnisse radikal abgewertet hatte, stellte sich die Frage nach einem alternativen Erkenntnisvermögen, das in der Lage wäre, Leben als schöpferisches Werden wahrzunehmen und zu verstehen. Für den Autor ist dies die Intuition, die der Anschauung als bildhafter Wahrnehmung näher stehe als dem Denken, dessen Erkenntnisausrichtung vom Individuellen zum Allgemeinen angelegt ist und nicht wie der Verstand die einzelnen Dinge in praktische, logistisch optimal verwendbare Begriffsboxen verpackt.
Während der Verstand also die Welt unter dem Aspekt der Nützlichkeit instrumentalisiert, entspricht die intuitive Wahrnehmung der Welt dem relativ offenen Prozess vor der begrifflichen Einengung:
„Es gilt die Erfahrung an ihrer Quelle aufzusuchen, oder vielmehr oberhalb jener entscheidenden Wendung, wo sie in der Richtung des praktischen Nutzens von ihrem ursprünglichen Wege abweicht und im eigentlichen Sinne zur menschlichen Erfahrung wird.“
Bergson wurde unter anderen von Nietzsche und Schelling inspiriert, bedingt auch von Schopenhauer.
Neben der bereits erwähnten Ablehnung aller rationalistischen und mechanistischen Weltdeutungen kritisierte der Autor auch die evolutionären Theorien von Spencer und Darwin.
Bergson hatte insbesondere Einfluss auf den Existenzialismus, die Philosophische Anthropologie und den Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl. Marcel Proust soll ebenfalls maßgeblich von ihm beeinflusst worden sein. Auch wenn der Schriftsteller und entfernte Verwandte Bergsons dies zwar abstritt, so ist die geistige Verwandtschaft der beiden Autoren doch sehr augenfällig.