Hans Kudszus – Kurze Biografie
* 7.7.1901 in Schleswig – † 13.4.1977 in Berlin
Dieter Hildebrandt hat seinen Freund Hans Kudszus einmal bezeichnet als den «einsamsten, kapriziösesten und verwunschesten Aphoristiker des 20. Jahrhunderts». Was könnte die konsequente Zurückgezogenheit des Autors besser dokumentieren als das Fehlen eines ganz bestimmten Dokuments: Im Internet sucht man vergeblich nach einem Foto von Kudszus.
Ohne zu wissen, ob er ihn gekannt hat, erinnern mich Kudszus Aphorismen in vielerlei Hinsicht an Laotse, wie zum Beispiel dieser: «Den Himmel sieht am besten, wer auf der harten Erde liegt.» Wie bei dem alten chinesischen Weisen finden wir im aphoristischen Werk des Autors:
eine prägnante Einfachheit im Ausdruck und eine tiefgründige Klarheit in der Aussage.
Statt einer typisch westlichen Entweder-oder-Logik und einem Denken, das sich selbst in ein mechanistisches Ursache-Wirkung-Muster einsperrt, finden wir bei Kudszus ein ganzheitliches Denken, das nicht fragt, was aus wem entsteht, sondern was mit wem einhergeht.
Der Autor besaß die seltene Fähigkeit, subjektiv assoziative Gedanken- und Bildverknüpfungen mit objektiven Gegebenheiten so zu verbinden, dass der Leser die lebendige Wahrheit in seinen Aphorismen auch dann spüren kann, wenn er selber nicht in der Lage ist, sich die Verknüpfungen unmittelbar zu erschließen. Wer sich die Zeit nimmt, in die Tiefen einzutauchen, die der Autor bietet, wird nicht enttäuscht werden. Manche seiner Aphorismen sind trotz ihrer vermeintlich leichten Zugänglichkeit so tief, dass man mit Gewinn stundenlang in sie eintauchen kann.
Kudszus Vorliebe für das Schweigen und seine Skepsis bezüglich der Möglichkeit, die Welt denkend erfassen zu können, sind weitere Parallelen zur taoistischen Philosophie, in der das Tao unter anderem auch das Unbennenbare bedeutet.
In seinem Vorwort zur im Matto Verlag erschienenen Aphorismensammlung „Das Denken bei sich“ schreibt Dieter Hildebrandt:
„«Man könnte ihn einen Denker nennen, wenn er zu seinen vielen Fäden ein Labyrinth gefunden hätte.» Treffender als mit seinem eigenen Aphorismus kann man Hans Kudszus nicht charakterisieren – den einsamen Berliner Querkopf, den Hans-guck-in-den-Grund, eine Gestalt fern von jeglichem Betrieb, ein wortkarges Unikum in der Welt des Geredes.“
Es ist ein ganz gewöhnliches Schicksal für subtile Querdenker, dass sie von der breiten Öffentlichkeit verkannt oder gänzlich ignoriert werden. Aber es gilt auch der aristotelische Grundsatz „Gleiches wird durch Gleiches erkannt“. In seiner Würdigung des Philosophen Hans Kudszus anlässlich der geplanten Ehrenpromotion der Freien Universität Berlin – ebenfalls veröffentlicht in Das Denken bei sich im Matto Verlag – schreibt Theodor W. Adorno:
«Kudszus ist nicht nur von der eminentesten philosophischen Bildung und dem subtilsten Verständnis, sondern auch von einer wahrhaft geistigen Produktivität, die darum nicht geringer eingeschätzt werden kann, weil sie sich nicht in sogenannten großen Werken, sondern im Gespräch, in ganz außerordentlich geprägten und substanziellen Aphorismen niedergeschlagen hat, deren Gehalt manche dicken Bücher aufwiegt.»