Friedrich Schelling: Die Kraft des Adlers im Flug
Die Kraft des Adlers im Flug bewährt sich nicht dadurch, dass er keinen Zug nach der Tiefe empfindet, sondern dadurch, dass er ihn überwindet, ja ihn selbst zum Mittel seiner Erhebung macht.
Friedrich Schelling
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Quelle: Friedrich Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie, Reclam, Leipzig, 4. Auflage 1984, S. 189 f., ISBN: B0000BUHQ2
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Wie ein gigantischer Magnet ziehen die Leidenschaften den Menschen in die tiefsten Abgründe. In der Hölle der Unterwelt hausen Spielsüchtige, Drogenabhängige, Kinderschänder, Lustmörder, Bankiers, korrupte Politiker usw., sofern sie aus dem Zug nach der Tiefe nicht die Kraft bezogen haben, sich neu zu erheben, um der Gemeinschaft besser zu dienen, als sie es ohne Absturz vermocht hätten.
Nur der Adler, der dem Zug der Tiefe folgt, kann sich über seine niederen Leidenschaften erheben und kraft ihrer über sich selbst hinauswachsen.
Die Moral lehrt uns, wir müssten unsere Leidenschaften bändigen. Folgen wir ihr, dann sind wir kraftlos und werden – aller geistigen Höhenflüge und gesellschaftlichen Anerkennung zum Trotz – in die Tiefe hinab gezogen. Der Adler kennt keine Moral. Er fürchtet die Hölle nicht und kann deshalb so tief fallen, bis dem Zug der Tiefe die Kraft ausgeht. Dann erst setzt wieder sein kraftvoller Flügelschlag ein und katapultiert ihn wie eine Sprungfeder nach oben.
Wer seine Leidenschaften bekämpft, wird nie ein Adler sein. Nur wem es gelingt, deren Zugkraft in Schubkraft zu verwandeln, wird sich – wie einst Buddha – von den Leiden, die sie schafft, befreien können. Moralisch in Ketten gelegte Leidenschaften sind der Weg, der aus Angst vor der Tiefe direkt in psychosomatische Höllenlandschaften führt, während den mutigen Adler der Auftrieb des Abgrunds in die Höhe treibt.