Nicolás Gómez Dávila – Kurze Biografie
* 18.5.1913 in Bogotá – † 17.5.1994 in Bogotá
Darin sind sich die Kritiker einig: Der kolumbianische Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila scheidet die Geister wie kaum ein Denker seit Nietzsche. Einige sehen in ihm sogar einen neuen Nietzsche, obwohl Gott für ihn nicht nur nicht tot ist, sondern das einzig Lebendige überhaupt.
Während Nietzsches Kritik sich fast ausschließlich gegen die christliche Herdenmoral und ihre psycho-sozialen Folgeerscheinungen richtete, unterzieht Dávila die Moderne einer Fundamentalkritik, die kein Härchen ungekrümmt lässt. Kommunismus wie Demokratie stellt er gleichermaßen an den Pranger, da sie den Menschen seiner Überzeugung nach auf dessen Eigenschaft als Konsument reduzieren. Den Gipfel der Krankhaftigkeit sieht er in den modernen Metropolen wie auch in der «großartigen» Errungenschaft exhibitionistischer Massenegos, «sich in der Öffentlichkeit auszukotzen». Um sich diesen Anblick zu ersparen, verzichtete der Autor konsequent auf Tageszeitungen und Fernseher.
In vielen seiner Aphorismen macht sich Dávila über Leute lustig, die glauben, die Welt verändern zu können. Das erklärt, warum er ihm angebotene Posten ablehnte, wie etwa der eines Präsidentenberaters oder Botschafters. Seine generelle Ablehnung von Öffentlichkeitsarbeit im allgemeinen und der Politik im besonderen ist nachvollziehbar, wenn man seine skeptische Grundhaltung bezüglich der Moderne betrachtet: «Um den Patienten heilen zu können, den sie im 19. Jahrhundert verwundete, musste die Industriegesellschaft ihn im 20. Jahrhundert verblöden.»
Mit den Wunden des 19. Jahrhunderts spielt Dávila vor allem auf die Gott-ist-tot-Mentalität an, der er entgegenhält: „Der Tod Gottes ist eine interessante Meinung, aber sie berührt Gott nicht.“ Der Atheismus mache den Menschen nicht frei, sondern unterwerfe ihn den Heilsversprechen von Immanenzverwaltern, zu deren gefährlichsten Ausprägungen er den Kapitalismus und Kommunismus zählt, die auf je eigene Weise postulierten, der Mensch sei Herr seines Schicksals. Als fundamentalen Irrtum der kapitalistischen Demokraten bezeichnet er den Irrglauben, Mehrheitsentscheidungen basierten auf einer höheren Vernunft als der göttlichen. Im Gegensatz zu den meist rein immanent denkenden Gesellschaftskritikern vor ihm ist Dávila ein undogmatischer Zivilisationskritiker mit klaren Prinzipien und eindeutig transzendenter Ausrichtung, die für ihn das entscheidende Kriterium jeder philosophischen Denkrichtung darstellt:
„Das geheime Kriterium jeder philosophischen Option ist der Einbezug oder der Nicht-Einbezug einer Transzendenz.“
Es wird berichtet, dass Dávila sich nie ernsthaft um die Veröffentlichung seiner Werke gekümmert haben soll. Das erscheint mir insofern glaubhaft, als seine Texte den Eindruck vermitteln, als ginge es ihm primär darum, sich selbst schreibend Klarheit zu verschaffen. Die meiste Zeit soll er in seiner mehr als 30 000 Bücher zählenden Bibliothek verbracht haben. Doch obwohl er seinen Heimatort nur selten verlassen hat, kannte er die Welt wohl besser als die von ihm gekonnt karikierten Jetsets.
Man könnte vermuten, dass jemand, der so radikal die Wirklichkeit zerreißt, der er selbst angehört, zwangsläufig verzweifeln müsste, im Sinne von Roberts Musils Bemerkung: «Man kann seiner eignen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen.» Weshalb Dávila offenbar nicht verzweifelt ist, dürfte daran liegen, dass er seiner Zeit nicht böse war, sondern sie einfach nur gehasst und gemieden hat. Jedem, der sein Unbehagen gegen die moderne Zivilisation bloß fühlt, oder sich seiner nur halb bewusst ist, bieten die Texte des Autors die Möglichkeit, sich seines Unbehagens voll bewusst zu werden.
Einige Kritiker werfen Dávila vor, seine Texte seien rein destruktiver Natur, er zeige keine Lösungen auf und beschränke sich auf Schwarzmalerei. Rein statistisch trifft die Kritik zu, doch der Autor nennt an verschiedenen Stellen auch die Quelle, die ihm Kraft verleiht, und die Gründe, warum er sich nur andeutungsweise darüber auslässt:
«Es gibt keine Dummheit, die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit dem Glauben an Jesus Christus ausweicht.»
«Mißtrauen wir dem, der von der Jagd nach Argumenten lebt, um die anderen zu überzeugen. Die Intelligenz strebt nur danach, sich selbst zu überzeugen.»