Jiddu Krishnamurti – Kurze Biografie
* 12.5.1895 im indischen Madanapalle – † 17.2.1986 in Ojai, Kalifornien
Alle Ideologien, ob religiöse oder politische, sind idiotisch, denn es ist das begriffliche Denken, das begriffliche Wort, das die Menschen auf so unglückliche Weise gespalten hat.
Krishnamurti: Du bist die Welt, Neuausgabe Frankfurt am Main: Fischer, 2006, S. 7
Dieser Gedanke ist programmatisch für Krishnamurtis Leben und Lehren. Sein Lehren bestand nicht in der Ansammlung von Wissen, sondern im Leeren des Kopfes von Gedanken.
Liest man sein umfangreiches Werk, dann findet man dort eine gigantische Ansammlung von Gedanken, und man könnte auf den Gedanken kommen, der Autor widerspreche seiner eigenen Haltung gegenüber dem Denken mit jedem Wort. Bei näherer Betrachtung wird man feststellen, dass Krishnamurtis Gedanken eine einzige Aufforderung sind, das Denken durch eine Haltung zu ersetzen, die er Gewahrsein nennt:
Wenn das Gehirn durch ständiges Gewahrsein von den sich ansammelnden Erinnerungen gereinigt wird, verschwindet das zielorientierte „Ich“, das in Konflikte verstrickte „Ich“, denn Sie haben Ihr Haus in Ordnung gebracht.
Krishnamurti: Das Licht in dir, 1. Aufl. München: Econ, 2000, S. 48
Während das Denken uns permanent durch Erinnerungen und begriffliche Vorstrukturierungen in der Vergangenheit gefangen hält, befreit uns das Gewahrsein von den Bewusstseinsinhalten, die uns aus der Gegenwart entfliehen lassen wollen, sei es rückwärts in die Vergangenheit oder vorwärts in die Zukunft. Gewahrsein ist also die Kraft, uns ganz für das Hier und Jetzt zu öffnen, das heißt für das Leben, das nur in der Dimension des Augenblicks existiert. Und der jeweilige Augenblick selbst kennt keinen Konflikt, denn dieser kann nur nachträglich durch das Denken ins Leben hineinprojiziert werden.
Dass Krishnamurtis Denken in die Aufforderung zur Befreiung vom Denken mündete, dürfte auch damit zusammenhängen, dass schon früh von außen versucht wurde, sein Denken für eine Ideologie zu instrumentalisieren. Bereits im Alter von 14 Jahren wurde er von den britischen Theosophen Leadbeater und Besant „entdeckt“ und drei Jahre später zur Ausbildung nach England gebracht. Dort versuchte man, ihn in die theosophische Gesellschaft einzubinden.
Zehn Jahre später sagte sich Krishnamurti nicht nur von den Theosophen los, sondern wurde zu einem radikalen Kritiker aller religiösen Gemeinschaften. Er lehnte jede Autorität in Glaubensfragen ab und erklärte, dass nur der einzelne Mensch den Schlüssel zur Befreiung in sich trage und niemand ihm diesen Schlüssel überreichen könne.
Krishnamurti lehnte nicht nur Glaubensgemeinschaften ab, sondern auch sämtliche Glaubenssysteme mit ihren Regeln und Kulten. Das namenlose Wahre erschließe sich jedem Einzelnen nur in einer meditativen Haltung, die auf Regeln und Meditationssysteme verzichtet. Die heiligste Erfahrung, die ein Mensch in der Meditation machen könne, sei die Einheit von „Ich“ und „Du“, das heißt LIEBE im Sinne des vedischen „tat twam asi“ = Das bist Du.
Die meisten Gedanken Krishnamurtis sind durch seine zahlreichen Reden und Gespräche überliefert. Obwohl er mit zunehmendem Alter mehr und mehr die Öffentlichkeit scheute, beeindruckte er durch eine charismatische Überzeugungskraft seinen erlesenen Zuhörerkreis, zu dem so bedeutende Persönlichkeiten gehörten wie Bernard Shaw, Aldous Huxley, Joseph Campbell, Fritjof Capra und David Bohm.
Aus folgenden Gründen bin ich davon überzeugt, dass sich Krishnamurtis Gedanken im 21. Jahrhundert noch weiter verbreiten werden, als dies zu seinen Lebzeiten der Fall war:
1. Alle Gedanken Krishnamurtis basieren kristallklar auf der dem unvoreingenommenen Beobachten abgerungenen Fundamentalprämisse der philosophia perennis. Diese besagt, dass der Kosmos ein raumzeitloses einheitliches Kontinuum ist, das sich dem unbegrenzten Bewusstsein als solches offenbart, während es dem begrenzten Bewusstsein als in Raum und Zeit, Geist und Materie, Subjekt und Objekt aufgespaltene Dualität erscheint.
2. Krishnamurti hat diese Einheit sowohl intuitiv erfasst als auch beobachtend wahrgenommen sowie geistig durchdrungen.
3. Es ist dem Autor gelungen, seine Weisheiten auf einfache und verständliche Weise auszudrücken und Wege aufzuzeigen, wie sie im alltäglichen Leben praktiziert werden können.
4. Durch sein radikales Bekenntnis zur geistigen Freiheit des Einzelnen zeigt er auch praxistaugliche Wege auf, wie man sich aus den Fesseln instrumentalisierender Institutionen befreien kann, ohne Weltflucht zu betreiben.
5. Krishnamurti ist es gelungen, eine Brücke zu schlagen zwischen den mystischen Einheitslehren und den modernen Wissenschaften wie etwa Psychologie, Soziologie und Quantentheorie. Hier ist der Autor seiner Zeit ebenso weit voraus wie diejenigen, die erkannt haben, welche philosophischen und spirituellen Herausforderungen sich aus den physikalischen Erkenntnissen der Quantentheorie ergeben.
In seinem Buch Das neue Denken schreibt Fritjof Capra:
«Das Problem, das Krishnamurti für mich in Zen-Manier mit einem Streich gelöst hatte, ist genau das der meisten Physiker, wenn sie mit Ideen mystischer Überlieferungen konfrontiert werden: Wie kann man das Denken transformieren, ohne der Wissenschaft untreu zu werden?»
Zu drei Zitaten von Krishnamurti liegen auf dieser Website Interpretationen vor.