Fernando Pessoa – Kurze Biografie
* 13.6.1888 in Lissabon – † 30.11.1935 in Lissabon
Fernando Pessoa: Wahnsinniger oder Genie?
An dieser Frage scheiden sich die Geister seiner Kritiker.
Vielleicht war er einfach nur ein wahnsinnig genialer Schriftsteller und Philosoph?
Das Werk des portugiesischen „Nicht-Denkers“ ist jedenfalls erhaben über Etikettierungen wie „ein genialer Wahnsinniger“ oder „ein wahnsinnig genialer Denker“. Pessoas zahlreiche Heteronyme, das heißt Pseudonyme in Gestalt verschiedener literarischer Figuren, lassen beim vordergründigen Betrachter den Verdacht auf eine krankhafte Persönlichkeitsspaltung aufkommen.
Paradoxerweise kann nur ein in Ich und Nicht-Ich gespaltenes Bewusstsein zu einem solchen Schluss kommen. Wer aber die Welt als einen systemisch ineinander verwobenen ganzheitlichen Organismus betrachtet, muss jede Fixierung auf separate Suborganismen aufgeben und somit auch Begriffe wie ‚Ich‘ oder ‚Person‘. Pessoas Heteronyme deute ich als den Versuch, die mit dem westlichen Denken verbundene Spaltung des Bewusstseins so auf die Spitze zu treiben, dass sie schließlich als Karikatur ihrer selbst erscheint und so das isolierte Selbst ad absurdum führt.
Die Heteronyme des Autors, wie etwa Alberto Caeiro oder Ricardo Reis, sind oft als Teilpersönlichkeiten fehlinterpretiert worden. In Wirklichkeit sind sie jedoch lebendige Beweise dafür, dass es keine separaten Persönlichkeiten gibt. Was wir gewöhnlich Person nennen, ist lediglich die Identifikation mit einem Teil des universellen Bewusstseinsstromes und somit die egozentrische Weigerung, sich mit dem Ganzen zu identifizieren, was – dialektisch betrachtet – dasselbe ist wie Nicht-Identifikation.
Einem Nicht-Ereignis verdanken wir die im Westen wohl einzigartig unvoreingenommene Perspektive, mit der Pessoa uns besonders in Gestalt des Alberto Caeiro die Welt zu betrachten ermöglicht. Der Autor war offenbar nicht mit den östlichen Einheitslehren vertraut. Stattdessen setzte er sich mit Gedankensystemen auseinander, die zwar die universelle Einheit propagierten, letztlich aber allesamt im Dualismus stecken blieben, wie etwa die Theosophie, die Lehren der Rosenkreuzer oder Aleister Crowleys Order of the Golden Dawn. Nur so war es möglich, dass Pessoa aus einem westlichen Kulturkreis heraus, „Zen-Texte“ verfassen konnte, ohne je etwas von Zen gehört zu haben.
Unter der Überschrift Mit Fernando Pessoa auf dem Zen-Weg verweist Edna Lemgo treffend auf diese Besonderheit:
«Obwohl Fernando Pessoa diesen Rundwanderweg vermutlich nie beschritten hat, entwirft die Poesie seiner Heteronyme wie kaum eine andere die Landschaften, die sich dem Blick der Wanderer von den Aussichtspunkten entlang der Strecke bieten. Einige der fiktiven realen Autoren, die er sich für die verschiedenen Verkörperungen seines Denkens schuf, scheinen in den Regionen entlang des Zen-Wegs beheimatet zu sein.
Alberto Caeiro besingt das unmittelbare Dasein im Anfang des Weges. Fern jeder Religion und Metaphysik, fern jeder Deutung und Hineinlegung und fern von Hoffnung und Verzweiflung betrachtet er die Dinge, und sieht nur die Dinge.»
Auch wenn sich Pessoa nicht auf den Zen-Aspekt reduzieren lässt, so zeigt sich doch an vielen Stellen, wie klar und sanft der Zen-Wind durch seine Werke weht, wie etwa im folgenden Zitat aus Ricardo Reis:
«Lass den Wind vorüber wehen.
Stell ihm keine Fragen.
Sein Sinn ist nur
Der Wind zu sein, der weht …»