Meister Eckhart: Die Liebe beginnt da, wo das Denken aufhört.

Die Liebe beginnt da, wo das Denken aufhört. Wir brauchen aber die Liebe von Gott nicht zu erbitten, sondern wir müssen uns für sie nur bereit halten.


Meister Eckhart

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Quelle: Meister Eckhart in: Dietmar Mieth, Hrsg., Meister Eckhart, Walter Verlag, Freiburg im Breisgau 1979, S. 299, ISBN: 3491703662

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    Eine Interpretation zu “Die Liebe beginnt da, wo das Denken aufhört.

    1. Thomas Fürniß im Juli 2010

      Kann das Denken einen reinen Gedanken, einen liebenden Gedanken, einen gütigen Gedanken, einen wahren Gedanken hervorbringen? Ist es das Denken, das liebt? Oder liebt der Mensch mit seinem ganzen, reinen, liebenden, gütigen, wahren Wesen? Tendiert das Denken nicht dazu die Liebe (und die Wahrheit) zu zerreden? Ist es nicht lebendige Erfahrung, dass Denken die Liebe nicht verstehen kann? Beginnt also die Liebe nicht da, wo das Denken aufhört?

      Wenn die Liebe da beginnt, wo das Denken aufhört, hat die Liebe dann einen Beginn, einen Anfang? Und ist Liebe dann begrenzt? Das Denken ist begrenzt, und es wirkt begrenzend und trennend. Und Liebe? Wenn es „unsere Liebe“ ist, wenn es „meine Liebe“ ist, wenn es „deine Liebe“ ist, dann ist dies das begrenzte und begrenzende Denken, das diese Begrenzungen von Mein und Dein vornimmt. Liebe kann aber nicht Besitz sein, daher gibt es „unser“, „meine“, „deine“ Liebe nicht als wesentliche Wirklichkeit. Das begrenzte Denken macht den sprachlichen Ausdruck „unsere“, „meine“, „deine“ Liebe möglich, doch wenn die Grundlage dieses Denkens ein begrenzter, begrenzender und trennender Herz-Geist ist, kann „diese“ Liebe nicht wirklich Liebe sein, die unbegrenzt ist.

      Wenn also das Denken aufhört, hört die Begrenztheit auf und damit wird die Unbegrenztheit der Liebe deutlich. Wenn das Denken aufhört, bedeutet das aber nicht, dass der Mensch dumm wird, vielmehr, dieser sprachliche Ausdruck, der das Aufhören des Denkens beschreibt, deutet auf das „Ende“ der Begrenztheit des Denkens, jene Begrenztheit, die Hindernisse und Widerstände besitzt, die an Hindernisse stösst und die Widerstände erleidet. Wenn das Denken aufhört, beginnt eine wirklich neue, friedliche, widerstandslose, hindernislose Lebendigkeit, die das Denken benutzen kann und dabei deren Grenzen und Begrenztheit achtet und gewahrt. Weshalb so Liebe zum Ausdruck kommen kann, weil keine Hindernisse mehr schmerzlich im Wege stehen, weil keine Widerstände mehr den Menschen leidend aufreiben.

      Das Denken, das Gott um „Seine Liebe“ bittet, vergisst, dass die Grundlage des Wesens des Denkens nicht von Gott verschieden ist und nicht von Gott verschieden sein kann. Denken ist ein raumzeitlicher Ausdruck, der die Liebe nicht berühren kann, doch die Grundlage des Wesens des Denkens wird von der Liebe berührt, denn Es ist Gott, und Gott durchdringt und übersteigt das Denken. Denken kann ein Ausdruck der Liebe (Gottes) sein, doch Denken ist nicht die Liebe (Gottes), denn Denken ist begrenzt, weil es ein raumzeitlicher Ausdruck ist. Und Gott ist unbegrenzt, Der alles und auch das Denken, hervorbringt und durchdringt.

      Wenn der Mensch die Liebe von Gott denkend erbittet, bedeutet das, dass der Mensch die Liebe nicht gewahrt. Bitten ist also ein Mangel und deutet auf Abwesenheit. Bitten um Liebe ist also ein Mangel an Liebe und deutet auf die Abwesenheit von Liebe. Hört Gott auf die Bitten der Menschen, die sich Liebe von Gott erhoffen? Wenn Gott nicht vom Menschen getrennt ist, wie könnte da Gott dem Menschen etwas verwehren, das der Mensch bereits inne „hat“, die Liebe Gottes. Es ist die Aktivität des begrenzten, begrenzenden und trennenden Denkens, das die Liebe von Gott verhindert, doch die Liebe von Gott ist stets anwesend, auch im begrenzten, begrenzenden und trennenden Denken, doch das begrenzte, begrenzende und trennende Denken ist nicht Liebe. Das begrenzte, begrenzende und trennende Denken kann die Liebe von Gott nicht gewahren und kann daher nur Durcheinander verursachen und beibehalten.

      Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind das „Bereithalten“ für die Liebe, was keine Passivität ist, sondern ein immer gegenwärtiges Gewahrsein dessen was ist. Ist der Mangel an Liebe gegenwärtig, ist das Gewahrsein des Mangels an Liebe das „Bereithalten“ für die Liebe von Gott. Ist die Abwesenheit von Liebe gegenwärtig, ist das Gewahrsein der Abwesenheit der Liebe von Gott das „Bereithalten“ für die Liebe von Gott. Denn was sollte der Mensch des Mangels an Liebe und der Abwesenheit von Liebe sonst tun, als das, was ist, zu betrachten und zu achten und zu würdigen? Sollte er sich gegen das was ist wenden und kämpfen um die Liebe von Gott? Würde sich Gott durch seinen Kampf, um die Liebe Gottes, beeindrucken lassen, da doch die Liebe Gottes kampflos und zutiefst friedlich ist, die Stille und Ruhe im unendlichen Meer der Freude, die keines Kampfes bedarf? Und sollte der Mensch sich „bereithalten“ für die Liebe von Gott und lediglich warten? Bestimmt nicht, warten bedeutet die Liebe Gottes missverstehen und zu glauben, man werde eines Tages dazu erwählt. Gott wählt nicht, denn er ist nicht wählerisch, wie die meisten Menschen.

      „Bereithalten“ ist also selbst ein Ausdruck des Mangels und der Abwesenheit der Liebe von Gott, ist ein Ausdruck der Abwesenheit des Gewahrwerdens der Liebe Gottes. Man kann sich nicht für die Liebe von Gott bereithalten, denn sie ist stets anwesend.

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